Einstein-Syndrom

 14.5                Bewegungsdrang

 

„Das Leben ist wie Fahrradfahren. Um dein Gleichgewicht zu halten, musst du in Bewegung bleiben.“

 

 

Die innere Unruhe macht sich aber nicht nur durch ein impulsives und temperamentvolles Verhalten, sondern auch durch geistige und körperliche Aktivität bemerkbar. Wir können einfach nicht abschalten. Wenn wir nicht gerade schlafen, suchen wir permanent nach einer für uns anspruchsvollen oder beigeisternden Tätigkeit, die uns stimuliert. Beschäftigung führt bei uns zu einem inneren Gefühl der Beruhigung und Ausgeglichenheit. Aus diesem Grund sind wir absolut intolerant gegenüber Langeweile oder das Verharren an einer Stelle. Für einen Außenstehenden wirken wir dadurch rastlos, wenn nicht sogar hyperaktiv.

 

…Wenn ich im Zoo die Affen beobachte, fühle ich eine gewisse Verwandtschaft mit ihnen, wie sie unruhig, ständig auf dem Sprung vom einen zum anderen gehen. Ich habe mich schon immer wie ein Wolf in einer Welt von domestizierten, dressierten, gezüchteten Hunden gefühlt. Tief in mir verachte ich die Sesshaften und Krämer. Es kam vor, dass ich mir in meinen Tagträumen eine Katastrophe wünschte, die uns wieder in eine ursprüngliche Lebensweise als Jäger und Sammler zurückkatapultieren würde. Da wäre ich in meinem Element…(Ryffel-Rawak [74], S. 60)

 

Menschen wie wir brauchen Bewegungs- und Handlungsfreiraum. Grenzen, Sperren oder andere Einschränkungen werden von uns verachtet. Einengung und Bedrängnis lösen bei uns ein beklemmendes Gefühl der Panik und Wut aus, welches seinen Höhepunkt erreicht, wenn wir festgehalten, gefesselt oder eingesperrt werden.

 

 

…Wenn das Temperament mit meinen zwei Buben durchgeht, dann hilft entweder In-den-Arm-nehmen und Den-Kopf-streicheln oder In-die-Natur-raus-Gehen, wo sie niemanden stören, wenn sie toben. Denn schimpfen bringt nichts…

(Ryffel-Rawak [77], S. 127)

 

Manche von uns leiden sogar unter Klaustrophobie und die meisten halten es nicht mal lange im selben Zimmer aus oder verlassen überhäufig das Haus am Tag. Selbst das Ausharren am Arbeitsplatz wird mit Zigarettenpausen, mehrfaches aufsuchen der Toilette oder Rundgängen unterbrochen. Die innere Unruhe zeigt sich bei vielen von uns auch als motorische Überaktivität und einem unermüdlichen Bewegungsdrang:

 

…Ich bin darauf angewiesen, dass ich meine Energie ausleben kann, z. B. in Form stundenlanger Spaziergänge…

(Ryffel-Rawak [75], S.127)

 

Während viele Einstein-Syndrom-Kinder noch als die klassischen wilden Zappelphilippe auffallen, die nicht stillsitzen können oder dauern rumtoben, weil sie das Verharren an einer Stelle nicht aushalten, zeigt sich das Verhalten bei den Erwachsenen diskreter, da sie mit der Zeit gelernt haben sich zu beherrschen.

Man bemerkt es lediglich an dem Wippen der Füße, oder den Fingern, die ständig in Bewegung sind und an irgendetwas herumspielen, an der Rastlosigkeit, dass sie ständig unter Strom stehen und dass man selbst etwas unruhig neben ihnen wird. Beim Sitzen verändern sie ständig ihre Position und in einem Wartezimmer laufen sie meist auf und ab. Ihre innere Unruhe, das Gefühl nicht abschalten zu können erzeugt eine enorme Energie, die nicht zu unterdrücken ist. Deshalb sind wir auch als Erwachsene noch ständig in Bewegung. Zur Entladung dieser überschüssigen Energien suchen wir ausdauernde Aktivitäten, die uns völlig auslasten:

 

„Wenn ich mich nicht ausgelastet fühle, bin ich wie ein Tiger, der in seinem Käfig hin und her läuft. Ich komme nicht zur Ruhe. Es gehen mir tausend Dinge durch den Kopf und ich finde keinen klaren Gedanken mehr.“ (Betroffener)

 

„Wer rastet, der rostet“ könnte das Zitat eines Mensch mit Einstein-Syndrom gewesen sein.

 

 

 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak