Einstein-Syndrom

12.                Selbstwahrnehmung

 

„Der Horizont vieler Menschen ist ein Kreis mit Radius Null.

Und das nennen sie ihren Standpunkt.“

 

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom nehmen ihre Umwelt und Mitmenschen zwar sehr viel detaillierter, intensiver und einfühlsamer wahr als gewöhnliche Menschen, die Fähigkeit der Selbstwahrnehmung bleibt uns jedoch weitestgehend verwehrt.

 

Es ist uns nicht möglich die Wirkung unseres Selbst auf Andere durch unsere eigene Erscheinung oder unser Verhalten richtig einzuschätzen. Deshalb wirken wir manchmal ziemlich egozentrisch oder gleichgültig auf unsere Mitmenschen.

Das Problem besteht darin, dass unsere Selbstwahrnehmung durch ein nach außen getragenes falsches Selbstbild verzerrt, verleugnet oder verdrängt wird und dadurch zur Selbsttäuschung führt. Ursachen sind Anpassungsstrategien mit unerreichten zu eigen gemachten fremden Wunschbildern darüber, wie man gerne sein möchte, und das daraus resultierende Schamgefühl darüber nicht so zu sein, wie es von einem erwartet wird. Dies führt zwangsläufig regelmäßig zu unpassendem Verhalten mit sozialen Konflikten.

 

Ein weiters Problem ist die unzureichende Fremdwahrnehmung in solchen Konflikten. Wenn wir gereizt oder verletzt sind, ist es uns nur noch möglich, die Situation aus unserer persönlichen subjektiven und objektiven Perspektive zu bewerten:

 

Zu einer Auseinandersetzung mit dem Gründer der Universität von Princeton:

…Mit dem Gründer des Instituts, Abraham Flexner, gibt es bald Streit. Flexner hält nämlich nicht viel von Einsteins Extratouren und seinen öffentlichen Auftritten…

…Als der amerikanische Präsident Franklin D. Roosevelt den Wunsche äußert, mit Einstein im Weißen Haus zusammenzutreffen, öffnet Flexner hinter Einsteins Rücken den Einladungsbrief und gibt dem Präsidenten einen Korb. Als Einstein davon erfährt, ist er so wütend, dass er alle Kontrolle verliert. Er unterzeichnet Briefe mit der Absenderangabe ››Konzentrations-Lager‹‹ Princeton und droht, seinen Aufenthalt in Princeton zu beenden…

(Strauch [6], S. 212-213)

 

Das dabei spontan aus einer Emotion heraus einseitige, situationsbewertende Agieren oder Reagieren, ohne die Wahrnehmung versteckter verbaler und nonverbaler Signale von denen der reibungslose Ablauf der sozialen Kommunikation abhängt mit einer Unfähigkeit, sich vorzustellen, wie das Gegenüber die Situation sieht oder empfindet, kann folglich gravierende Auswirkungen in zwischenmenschlichen Beziehungen haben:


In einem Brief antwortet Einstein seiner geliebten Elsa selbstmitleidig:

…Ich leide sehr darunter, daß es mir versagt ist, wirklich zu lieben…Ich leide noch mehr wie Du, weil Du nur unter dem leidest, was Du nicht hast.‹‹… (Strauch [1], S. 97)

 

In solchen Momenten sind wir nicht selten jähzornig, zynisch oder gefühllos und scheinen mit diesem zweiten Gesicht oft unberechenbar und fremd auf unser Gegenüber. Ist die psychische Belastung seelischer oder körperlicher Verletzungen aus der Vergangenheit sehr groß, können wir in seltenen Fällen sogar zu Sarkasmus oder Gewalt neigen:

 

Einsteins Schwester:

…Maja berichtet, dass ihr Bruder mitunter jähzornig gewesen sei und ihr schon einmal eine Kugel oder ein Spielzeug an den Kopf geworfen habe… (Strauch [5], S. 15)

 

Meistens erkennen wir unser unangemessenes Verhalten erst im Nachhinein, und zwar beim geistigen Nachklang des Konflikts. Erst wenn wir das Geschehene in unseren Gedanken analysieren, ist es uns möglich unsere Reaktion aus einer neutralen Perspektive kritisch zu hinterfragen und zu beurteilen.

Trotzdem wird uns diese Selbsterkenntnis im nächsten Konflikt nicht weiterhelfen, weil uns die augenblickliche Selbstreflexion fehlt. Die wäre nur durch eine Videoaufnahme von uns oder die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung möglich. Die Selbstwahrnehmung setzt jedoch wiederum die Existenz von Selbstbewusstsein voraus, also das Bewusstsein über sich selbst.


 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak