Einstein-Syndrom

8.                        Motivation

 

„Nichts wahrhaft Wertvolles erwächst aus Ehrgeiz

oder bloßem Pflichtgefühl,

sondern vielmehr aus Liebe und Treue

zu Menschen und Dingen.“

 

 

Eine der besonderen Eigenschaften, in der sich Menschen mit dem Einstein-Syndrom von den anderen Menschen grundlegend unterscheiden, ist die Motivation zum Handeln.

 

Während der gewöhnliche Mensch seine Motivation zum Handeln in erster Linie aus dem Bedürfnis heraus bezieht sein eigenes Wohl zu verbessern, beziehen wir unsere Motivation zum Handeln in erster Linie aus dem Bedürfnis heraus gebraucht zu werden.

 

Natürlich Handeln auch wir zur Befriedigung unserer Bedürfnisse, der gewöhnliche Mensch aber strebt durch größere Leistungen nach persönlichen Zielen wie Reichtum, Erfolg, Anerkennung, Einfluss, Führung und Macht, während wir hingegen aus einem Gemeinschaftsgefühl, Altruismus, echtem Enthusiasmus, zur Befriedigung unserer Neugier und aus dem Wunsch nach persönlicher Wertschätzung durch größere Leistungen nach persönlichen, wie auch kollektiven Zielen streben.

 

 

8.1 Gemeinschaftsgefühl

 

Wir lieben es, wenn wir als Teil eines Ganzen in einem harmonischen Umfeld mitwirken können. Und am liebsten tun wir dies unter Gleichgesinnten.

Daher lassen wir meist alles fallen und stehen, wenn man nach uns fragt. Es scheint fast so, als ob wir einem Rudel angehören, dessen heulendem Ruf wir unweigerlich folgen müssen. Manche von uns vernachlässigen dabei sogar ihre persönlichen Verpflichtungen. Das rührt nicht aus einem Gefühl der Gleichgültigkeit heraus, sondern aus unserer Schwäche nicht „nein-sagen“ oder „absagen“ zu können, vielleicht aus Angst davor, wir könnten das Rudel enttäuschen und dadurch zum Außenseiter werden.

 

Einstein fühlt sich den Juden verpflichtet:

…››Ich gehe gar nicht gern nach Amerika, sondern tue es nur im Interesse der Zionisten, die für die Bildungsanstalten in Jerusalem Dollars erbetteln müssen, wobei ich als Renommierbonze und Lockvogel dienen muss…Andererseits tue ich, was ich nur kann, für meine Stammesbrüder, die überall so gemein behandelt werden.‹‹… (Strauch [37], S. 138)

 

Man hat schon oft von einer einsamen und enttäuschten Freundin gehört, deren Freund mehr Zeit mit seinen besten Freunden verbringt, als mit ihr. Aber mit Sicherheit nicht, weil er sie nicht liebt, kehrt er doch immer wieder mit einem zwiespältigem Gefühl oder sogar schlechtem Gewisse zu ihr zurück, sondern aus dem Pflichtgefühl heraus dem Rudel zur Jagd folgen zu müssen, und zwar nach Stimulation, Action und einem Gemeinschaftsgefühl.

 

…Als Einstein vor dem Besuch in Brüssel zu einer Tagung nach Karlsruhe reist, einen Verwandtenbesuch in Heilbronn macht und anschließend eine Vorlesung in Zürich hält, schreibt Mileva ihm leicht vorwursvoll: ››Das muss sicher sehr interessant gewesen sein in Karlsruhe; ich hätte gar zu gerne auch eine wenig zugehört, und alle diese feinen Leute gesehen… Es ist jetzt schon eine Ewigkeit dass wir uns nicht gesehen, ob Du mich wohl noch erkennen wirst?‹‹…(Strauch [38], S.92)

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom arbeiten lieber zusammen, statt gegeneinander. Wir meiden den Wettstreit und suchen die Kooperation. Das liegt daran, dass wir eine Niederlage als Verlierer nur schwer ertragen. Das Gefühl schlechter zu sein, welches wir nur zu gut kennen, ist für uns eine große innere Demütigung. So haben selbst die Gewinner unter uns manchmal ein schlechtes Gewissen und Mitgefühl, wenn ihr Mitstreiter dadurch als trauriger Verlierer da steht. Nicht selten endet ein Wettstreit mit uns deshalb am Ende mit einem Unentschieden, damit alle Beteiligten ein Erfolgserlebnis haben, denn nach unserer Meinung soll jeder einmal das Gefühl erleben dürfen der Gewinner zu sein.

 

Albert Einstein über Gemeinschaft:

…"Nicht auf Personen kommt es an, sondern auf Werke im Dienste der Gemeinschaft."… (Liß [41])

 

 

8.2 Altruismus

 

Wir benötigen ganz individuell für uns das stabilisierende Gefühl gebraucht zu werden, da unsere Hilfestellung meist mit positivem Feedback und einem Gefühl der Verbundenheit belohnt wird. Es ist für uns ein befriedigendes Gefühl für andere da zu sein, ihnen zu helfen, sie zu versorgen oder zu unterstützen. Unser angeborener Altruismus ist nicht idealistisch oder normativ begründet, sondern richtet sich auf die willentliche Verfolgung des Wohls anderer oder eines Gemeinwohls.

 

Einsteins Brief an einen Studenten:

…„Lieber Herr Chavan! Ich liege im Bett wegen starker Erkältung. Aber Sie können heute Abend doch kommen, ich werde dann liegend mit ihnen lesen.“…(Strauch [32], S.78)

 

Was wir für uns selbst nicht in Angriff nehmen können, vollbringen wir als Helfer für Andere oder aus Fürsorge und Nähe zu geliebten Menschen. So können sogar gemütliche und eher lustlose Gemüter unter uns richtig aktiv werden. Zum Beispiel in einer Familie, wo sie dann zu einem echten Versorger erblühen. Viele von uns beginnen sogar mit Fort- und Weiterbildungen im Beruf, um ihrer Familie dadurch vielleicht irgendwann mal mehr bieten zu können. Andere von uns sind hingegen einfach nur rund um die Uhr für ihre Liebsten da.

 

Als Einsteins Freundin Mileva im vierten Monat schwanger ist und zum zweiten Mal durch die Diplomprüfung fällt, schreibt er ihr in einem Brief:

…››Nun aber freue Dich über den unwiderstehlichen Entschluß, welchen ich gefaßt habe! Ich habe über unsere Zukunft folgendes beschlossen: Ich suche mir eine, wenn auch noch so ärmliche Stelle sofort. Meine wissenschaftlichen Ziele und meine persönliche Eitelkeit werden mich nicht davon abhalten, die untergeordnetste Rolle zu übernehmen. Sobald ich eine solche erhalten habe, verheirate ich mich mit Dir und nehme Dich zu mir, ohne irgend jemand eher ein Wort davon zu schreiben, als bis alles erledigt ist. Dann aber kann niemand einen Stein auf Dein liebes Haupt werfen, sondern weh dem, der sich was gegen Dich erlauben will. ‹‹… (Strauch [34], S. 44)

 

Aber auch in Berufen, in denen wir als Helfer und Versorger fungieren können, blühen wir regelrecht auf und werden nicht selten zu Arbeitssüchtigen. Man trifft uns auffallend häufig in der Pflege, als Ärzte oder Arzthelfer, Erzieher, Jugendbetreuer, Tierpfleger, Polizisten, im Rettungsdienst, oder dem Katastrophenschutz an. Sogar bei der Bundeswehr sind unsere mit einer eher pazifistischen Einstellung gesinnten Gemüter mehrfach zu finden. Vielleicht aus dem Bedürfnis heraus als Helfer und Retter in Konflikte einzuschreiten oder unser Land bei Gefahr zu verteidigen.

Es ist kein Zufall, dass sich viele von uns sozial engagieren. Als Umwelt-, Menschenrechts-, oder Tierschützer, in freiwilligen sozialen Einrichtungen, bei der freiwilligen Feuerwehr oder dem THW, und in ehrenamtlichen Tätigkeiten.

Schon in der frühen Kindheit macht sich das bemerkbar, wenn wir beispielsweise mit anderen Kindern unser Spielzeug teilen oder ihnen sogar persönliche Dinge schenken. Man beobachtet eine große Einheit unter uns, wenn wir zum Beispiel in einer Sache zusammenarbeiten.

 

Albert Einstein über seinen Altruismus:

…"Was ein Mensch für seine Gemeinschaft wert ist, hängt in erster Linie davon ab, inwieweit sein Fühlen, Denken und Handeln auf die Förderung des Daseins anderer Menschen gerichtet ist."…(Liß [42])

 

Einstein-Syndrom-Menschen sind immer zur Stelle, wenn Menschen in Not sind oder Hilfe brauchen. Manchmal ist es der kleine Junge, der einem Obdachlosen etwas von seinem Taschengeld schenkt, oder die junge Frau, die einem blinden Mann bis zur Bushaltestelle begleitet und ihm dabei voller Begeisterung die Umgebung beschreibt.

Wir helfen anderen Menschen generell. Egal ob Freund, Kollege oder Fremder. Wir haben das „Helfersyndrom“, wir können nicht anders, es sei denn, jemand will uns zu seinem eigenen Vorteil ausnutzen.



8.3 Enthusiasmus

 

Obwohl wir uns eher schwer damit tun unseren alltäglichen Pflichten und Aufgaben nachzukommen, sind wir durchaus in der Lage etwas in Angriff zu nehmen, nämlich beim Vergnügen mit einer Tätigkeit oder der Begeisterung für eine Sache:

 

„Ich bin ein chaotischer und unzuverlässiger Mensch. Im Arbeitskreis kennt man mich jedoch nur als sorgfältiges und pünktliches Mitglied.“ (Betroffener)

 

Dann sind wir grundsätzlich bereit den entsprechenden Aufwand dafür aufzubringen, dass heißt entsprechende Vorbereitungen zu treffen, an jenem Tag, an dem das positive Ereignis zu erwarten ist, früher als gewöhnlich aufzustehen oder sich für diese Sache schneller zu bewegen:

 

„Wenn ich mit meinen Freunden zu einem Konzert fahre, bin ich schon vorher so euphorisch und ungeduldig, dass ich den Weg zum ausgemachten Treffpunkt überhastet laufe.“ (Betroffener)

 

Beim nachgehen unserer persönlichen Interessen laufen wir nicht selten zu Höchstleistungen auf, die von großem Erfolg gekrönt sein können:

 

„Seit meiner Kindheit bin ich leidenschaftlicher Musiker. Obwohl meine Eltern mir geraten haben eine Ausbildung zu machen, habe ich mein Hobby zum Beruf gemacht.“ (Betroffener)

 

Man kann häufig beobachten, dass es uns gern in die Selbständigkeit zieht. So verwirklichen sich viele von uns als Künstler oder gründen Unternehmen:

 

„Ich war schon immer ein kreativer Denker und Tüftler. Nun habe ich endlich ein Patent angemeldet und meine eigene Firma gegründet.“ (Betroffener)

 

Wenn etwas als lustvoll empfunden wird, Spaß macht oder mit Interesse verfolgt wird, lassen wir uns leicht von wesentlichen Dingen ablenken und geben schnell unserem Verlangen nach:

 

„Wenn ich von der Arbeit nach Hause komme, verbringe ich den Abend mit Videospielen, statt mich um den Haushalt zu kümmern.“ (Betroffener)

 

Wenn wir uns für etwas wirklich begeistern können, blühen wir richtig auf und zeigen dabei unsere gesamte Leistungsbereitschaft, Kreativität und Ausdauer.

 

Albert Einstein zum Grübeln über seine Relativitätstheorie:

…››Der Gefühlszustand, der zu solchen Leistungen befähigt, ist dem des Religiösen oder Verliebten ähnlich; das tägliche Streben entspringt keinen Vorsatz oder Programm, sondern einem unmittelbaren Bedürfnis.‹‹… (Strauch [33], S. 53)


 

 8.4 Neugier

 

Wir kennen keine Gleichgültigkeit beim Erleben von etwas Unbekanntem oder Unerwartetem, das in kein Schema passt. Außergewöhnliche Ereignisse wirken wie ein Magnet auf uns und ziehen uns scheinbar magisch an. Der durch die Verwunderung erzeugte Erregungszustand wirkt sich dabei motivationsfördernd auf uns aus und ist das unwiderstehliche Bedürfnis einer Sache nach zu gehen oder das Neue zu erforschen:

 

…Als der Vater dem Vierjährigen einen Kompass zeigt, ist Albert tief beeindruckt. Einstein kann sich noch im Alter an dieses Ereignis erinnern: ››Dies ›sich-wundern‹ scheint dann aufzutreten, wenn ein Erlebnis mit einer in uns hinreichend fixierten Begriffswelt in Konflikt kommt…Daß diese Nadel in so bestimmter Weise sich benahm, passte so gar nicht in die Art des Geschehens hinein, die in der unbewussten Begriffswelt Platz finden konnte…Da musste etwas hinter den Dingen sein, das tief verborgen war‹‹…Hier nimmt er erstmals ein Grundmotiv seines Denkens wahr: seine Suche nach den unbekannten Ursachen, den Kräften, die die Welt bewegen… (Strauch [35], S. 9)

 

„Ich bin ein sensationslustiger Mensch. Wenn etwas Aufregendes geschieht, werde ich regelrecht mitgerissen.“ (Betroffene)

 

„Ich kann es nicht lassen etwas Neues auszuprobieren, auch wenn ich mir dabei schon oft die Finger verbrannt habe.“ (Betroffener)

 

Wir werden von unserer Neugier regelrecht angetrieben und sind daher die Pioniere der Welt.

 

 

8.5 Persönliche Wertschätzung

 

Ein weiterer Grund, warum wir zum Handeln motiviert werden, ist die Suche nach positiver Bewertung von unseren Mitmenschen. Da wir unser ganzes Leben mit dem Gefühl hadern ein Außenseiter zu sein, sind uns Zugewandtheit, Interesse und Freundlichkeit von Mitmenschen äußerst wichtig. Deshalb ist unser Verlangen nach persönlicher Achtung durch Respekt und Aufmerksamkeit uns gegenüber sehr groß. So ist unsere Selbstverwirklichung oftmals auf den Wunsch nach sozialer Identität zurückzuführen, um als teil der Gesellschaft wahrgenommen zu werden. Viele von uns haben ein großes Verlangen danach den Anderen etwas beweisen zu wollen, die eigenen Fähigkeiten hervorzuheben, seine Ideen mitzuteilen oder die persönlichen Merkmale deutlich zu machen. Eine Botschaft an die Welt, dass man auch zu etwas taugt, dass man ein kreativer, kompetenter, hilfsbereiter und vor allem liebenswürdiger Mensch ist, der einen Wert hat. Dieses Verhalten wird von vielen unserer Mitmenschen jedoch oft als Selbstverliebtheit mit narzisstischen Tendenzen gewertet.


Selbst als Einstein mit seiner Relativitätstheorie wissenschaftliche Anerkennung und Weltrum erlangt, treibt ihn sein Verlangen nach wissenschaftlicher Aufklärung immer weiter an. Noch bis an sein Lebensende arbeitet er an einer Weltformel, die alle Probleme der Physik lösen soll und mit der er es allen recht machen kann.

 

Albert Einsteins Antwort auf eine Einladung nach seinem erlangten Weltrum:

…„Können Sie sich vorstellen, dass ich müde bin, überall als symbolischer Leithammel mit Heiligenschein zu figurieren.“… (Strauch [36], S. 163)

 

 

8.6 Stress

 

Es gibt einen Grund zur Motivation, der nicht durch ein Bedürfnis ausgelöst wird, sondern aus der Befürchtung heraus entsteht, dass eine zeitlich nahe und subjektiv lang andauernde Situation wahrscheinlich nicht vermieden werden kann. Diese Situation setzt uns unter Druck und erzeugt eine Stressreaktion, die uns zur Bewältigung besonderer Anforderungen befähigt. Dadurch sind wir besonders in Gefahrensituationen handlungsbereit und können durch unser impulsives Verhalten schnell und souverän reagieren.

Dies müssen jedoch nicht zwangsläufig außergewöhnliche Situationen sein. Persönliche Pflichten, die wir zwar als uninteressant aber wegen der von uns geforderten Kompetenzen als wichtig empfinden, sind für uns somit unausweichlich. Zwar werden wir diese durch unsere Unlust und unser Desinteresse bis zum letzten Moment verdrängen wollen, ist der Druck dann aber irgendwann groß genug, sind wir gezwungen uns kurzfristig zu motivieren, um uns auf das anstehende Ereignis besser vorzubereiten:

 

…„Ich kann mich nie für langweilige Aufgaben motivieren. Erst wenn ich unter Zeitdruck stehe und total gestresst bin, beginne ich mich der Sache anzunehmen.“… (Betroffener)

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom handeln schon aus ihrer Natur heraus nicht aus bloßem Ehrgeiz oder Pflichtgefühl, sondern nach eigenem Ermessen. Sich an den Regeln und Verpflichtungen der Gesellschaft zu orientieren und sich gezwungenermaßen selbst zu motivieren, fällt uns deshalb besonders schwer, da wir gerade in für uns als belanglos empfundenen Dingen einen riesigen inneren Schweinehund haben, den es zu überwinden galt.

 

Einstein über seinen Aufenthalt in Ahrenshoop an der Ostsee:

…››Hier ist es wundervoll, kein Telephon, keine Verpflichtungen, absolute Ruhe… Ich liege am Gestade wie ein Krokodil, lasse mich von der Sonne braten, sehe nie in die Zeitung und pfeife auf die sogenannte Welt.‹‹… (Strauch [85], S. 119-120)

 

…Mein ganzes Leben ist so. Ich nehme mir vor, etwas zu tun, und dann tue ich es nicht… (Hallowell/Ratey [28], S. 151)

 

 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak