Einstein-Syndrom

5.                   Selbstbewusstsein

 

„Was weiß ein Fisch von dem Wasser,

in dem er sein ganzes Leben lang schwimmt?“

 

 

Egal wie erfolgreich Menschen mit dem Einstein-Syndrom sind, unser Selbstwertgefühl ist immer stark beeinträchtigt durch die vielen negativen Erfahrungen im laufe unseres Lebens. Deshalb ist es entscheidend, dass das Syndrom so früh wie möglich erkannt wird. Schon allein die Erfahrung über die Eigenschaften unseres Bewusstseins und Identifikation mit diesem, können den laufenden psychischen, manchmal auch physischen Schaden ausbremsen oder gar vermindern.

 

Eigentlich wissen wir schon unser ganzes Leben, dass wir anders sind, als gewöhnliche Menschen. Wir wissen nur nicht warum und wollen es meist auch gar nicht, da wir ja schon unser ganzes Leben unter größten Anstrengungen versuchen uns mühevoll zu disziplinieren und mit Aufgabe persönlicher Besonderheiten als Makel uns unserem Umfeld anzupassen.

 

Schon Einstein wusste von seinem mangelnden Selbstbewusstsein:

…››Was am eigenen persönlichen Dasein für einen selbst wesentlich ist, das weiß man selber kaum, und den andern braucht es erst recht nicht zu kümmern…(Strauch [53], S. 255)

 

Nun wird dies alles in Frage gestellt. Es ist, als hätten wir die Möglichkeit aus einer Welt auszusteigen, in der wir zwar hineingewachsen sind, die aber niemals für uns geschaffen war. Als könnten wir zwischen einer Matrix und der Wirklichkeit entscheiden, nur dass die Matrix für uns über Jahrzehnte längst zu unserer eigenen Wirklichkeit geworden ist. Dornröschen könnte endlich aus seinem langen schlaf erwachen, wenn es denn auch wirklich will.

 

„Ich habe oft das Gefühl gehabt, dass ich nicht in diese Welt gehöre, weil ich so ganz anders denke und fühle, als der Rest der Menschheit. Nun weiß ich, dass es noch andere meiner Art gibt und fühle mich nicht mehr so ausgegrenzt.“ (Betroffene)

 

Die größte Reaktion auf die Erfahrung über das Selbstbewusstsein ist die Angst vor dem, was man ist, wenn man sein ganzes Leben versucht jemand anders zu sein, um nicht belächelt, kritisiert, herabgewertet oder ausgegrenzt zu werden, sondern stattdessen Achtung und Wertschätzung zu erlangen. Einstein-Syndrom-Menschen, die mit ihren Eigenschaften konfrontiert werden, reagieren oft stur und wütend und weisen diese deshalb nicht selten energisch zurück. Wir lehnen es strikt ab kategorisiert und beurteilt zu werden. Viele von uns wollen die Wahrheit erst einmal nicht erkennen. Sie fühlen sich dadurch sehr verletzt und gekränkt. Deshalb ist es überaus wichtig, dass man diese Menschen >> nicht << beurteilt und ihnen sagt, wer sie sind, sondern ihnen stattdessen die Möglichkeit gewährt, selbst die Wahrheit zu erkennen, indem man sie damit behutsam konfrontiert.

Es kann sehr hilfreich sein, wenn man als Betroffener selbst über seine Charaktereigenschaften mit anderen Betroffenen spricht. So ist es, als würde man ihnen einen Spiegel vor Augen halten, indem sie sich wieder erkennen. Dennoch befasst sich die Mehrheit von uns erst nach einem langen Leidensweg mit ihrem Selbst und dem hinterfragen der eigenen Lebensweise.

 

Letztendlich empfinden wir die Erfahrung über unser Selbst als eine Erleichterung, in der wir einen Grund dafür Gefunden haben, warum wir ständig Dinge auf die lange Bank schieben, warum wir kein Selbstvertrauen haben, warum wir mitten in einer Unterhaltung plötzlich wegtreten, warum wir uns nicht länger konzentrieren können, warum wir im Leben so oft gescheitert sind. Wir sind zuerst erfreut darüber, dass es für unser scheinbares Problem einen Namen gibt, einen anderen Hintergrund als Faulheit oder Dummheit und dass unsere Schwierigkeiten in etwas anderem liegen als in einem schlechten Charakter. Und wir sind begeistert, dass wir es nun verstehen und etwas dagegen unternehmen können. Andererseits werden wir nach einer Zeit dann doch skeptisch, da sich der Gedanke nach und nach einschleicht, dass wir vielleicht krank sind.

Andere von uns empfinden diese Erfahrung wiederum mit einem Gefühl von Wut und Frust. Wut, da sie es erst jetzt erfahren und verstehen. Frust, da sie so viele Jahre des Abwertens, Beschimpfens oder gar Peinigung über sich ergehen lassen mussten.

 

Das Gefährlichste an einem unerkannten Selbstbewusstsein ist die damit einhergehende Attacke auf das Selbstwertgefühl, denn wenn man nicht weiß, wer man ist und wozu man fähig ist, wird man niemals ein volles Selbstvertrauen erlangen.

Ganz gleich welche Begabungen uns angeboren sind, und das sei gewiss, viele von uns kommen nie dazu, sie zu gebrauchen, weil sie aus der persönlichen Meinung von sich selbst heraus ratlos und ein Versager zu sein keine Motivation finden oder zu schnell aufgeben.

Mehr noch belasten uns psychosomatische Symptome, die sich im Laufe unseres Lebens durch Anpassung und Selbstdisziplinierung herausgebildet haben und meist mit großen seelischen Belastungen und Verletzungen verbunden sind. Es sind Symptome wie zum Beispiel ein geschädigtes Selbstbild, Selbstzweifel, emotionale Instabilität, Störung von Nähe und Distanzregulierung in zwischenmenschlichen Beziehungen, Zwangsverhalten, Abhängigkeit, Depressionen, Angststörungen und Dissoziation. Diese Wunden heilen nur sehr langsam.

 

Je früher das Einstein-Syndrom erkannt wird, desto besser können diese Symptome verarbeitet werden und desto früher kann man damit beginnen, ein Leben zu erlernen, das nicht mehr im Zeichen der Moralisierung und Abwertung steht.

Wenn wir bereit sind zu akzeptieren, dass wir als Mensch mit einem anderen Bewusstsein geboren wurden und es noch viele Andere mit diesem speziellen Bewusstsein gibt, haben wir zum ersten Mal wirklich die Chance ein selbstbewusstes Leben ohne Gefühle der Minderwertigkeit zu erfahren. Dann können wir damit beginnen die Frustrationen und Schmerzen der Vergangenheit zu verarbeiten, um ein neues Leben zu gestalten.

 

 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak