Einstein-Syndrom

17.                           Chaos

 

„Ordnung braucht nur der Dumme,

das Genie beherrscht das Chaos.“

 

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom sind die Chaoten unserer Welt. Einer der vielen Gründe, weshalb wir ständig mit unserem sozialen Umfeld anecken, ist unser planloses, unorganisiertes und unordentliches Verhalten. Das rührt daher, das es uns schon aus unserer Natur heraus äußerst schwer fäll, sich an Sittlichkeiten zu orientieren und aus bloßem Pflichtgefühl und Ehrgeiz gegenüber allgemeinen Werten zu handeln.

In gesellschaftlichen Strukturen, die streng auf traditionelle Bräuche, Regeln und Normen basieren, wird dieses widersetzliche Verhalten jedoch als chaotisch bis asozial entwertet.

 

Schon als Kinder fallen wir durch unser nachlässiges Verhalten in der Bewältigung unserer täglichen Pflichten auf. Nur was interessant, von persönlicher Bedeutung, oder mit einer unmittelbaren Belohnung verbunden ist, wird in angriff genommen und gepflegt. Dieses angeborene Verhaltenmuster wird sich grundsätzlich nicht ändern. Lediglich die damit einhergehenden negativen Erfahrungen werden uns langfristig dazu veranlassen uns selbst zu disziplinieren. Den meisten wird dies bis zum Erwachsenenalter gelingen, allerdings nur mithilfe verschiedenster Kompensationsmuster, die manchmal sogar in einem Zwangsverhalten ausarten können.

 

…Besuch ist eine Katastrophe. An freien Tagen versuche ich dermaßen krampfhaft, meine innere Ruhe wieder zu finden, mich selbst zu spüren und Ordnung in der Wohnung zu machen, dass Überraschungen mich völlig aus dem Gleichgewicht bringen und auch sehr aggressiv machen können…

(Ryffel-Rawak [79], S. 107)

 

Schaffen wir es im laufe unseres Lebens nicht eigene Strategien zur Bewältigung unserer persönlichen Pflichten zu entwickeln, kann unsere desorganisiertes Verhalten unter äußersten Umständen sogar in ein Messie-Syndrom ausarten.

 

…ich räumte doch ununterbrochen auf, doch ich schaffte es einfach nicht, die Sachen an den richtigen Ort zu versorgen, nein, ich verlagerte alles nur . . . Ich hatte wirklich den Eindruck, dass ich mir extrem Mühe gab, die Hausarbeiten in den Griff zu bekommen, doch es ging einfach nicht! …

(Ryffel-Rawak [110], S.140)

 

Unser chaotisches Verhalten führt zu persönlichen Beeinträchtigungen in verschiedenen Fähigkeiten, die jedoch für ein sozial orientiertes Leben unbedingt erforderlich sind:

 


17.1.1 Ordnung

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer Ordnung zu halten. Wenn wir in unserer Kindheit nicht lernen uns selbst zu motivieren (beispielsweise durch Selbstbelohnung) und ein persönliches Ordnungsschema zu entwickeln (durch Selbststrukturierung), wird es uns auch als Erwachsener äußerst schwer fallen, Dinge zu sortieren, wegzuräumen oder abzuheften.

Hierzu zählen die verschiedensten Verrichtungen im schulischen, häuslichen oder beruflichen Alltag:

 

Beispiele:

 

  • Schulunterlagen (Überfüllte Schultaschen; chaotische Heftführung, verlegte Hilfsmittel)
  • Verstreute Utensilien (Verlegte Schlüssel; Brieftaschen; Brillen; Handschuhe; Kugelschreiber; Werkzeuge)
  • Volle Waschkörbe (schmutzige oder ungebügelte Kleidung)
  • Verteilte Kleiderhaufen (auf dem Boden; über Stühle; in Regalen; im Auto)
  • Unsortierte Ablagen (Rechnungen; Kontoauszüge; Mitteilungen)
  • Überfüllte Räume und Möbel (Keller; Abstellkammern; Regale; Schränke; Kommoden)
  • Chaotische Küchen (herumliegende Arbeitsgeräte; volle Spülmaschinen, unübersichtliche Kühlschränke, überfüllte Gefriertruhen, überfüllte Ablagenflächen)
  • Chaotische Arbeitsplätze (unsortierte Unterlagen, Büromittel, Werkzeuge und Maschinen)
  • Verlorene Hilfsmittel, Unterlagen und Requisiten (Werkzeuge; Fachbücher; Projektmappen; Kostüme)
  • Verteilte Notizen (Merkzettel; Randnotizen auf Tischunterlagen)

 

Kurz gesagt: Bei Menschen mit dem Einstein-Syndrom liegt selten etwas dort, wo es eigentlich hingehören sollte. Was andere Menschen in den Schrank räumen, legen wir auf einen Haufen. Man könnte die Stapel der zu erledigenden Sachen auch die Stapel für immer unerledigt nennen. Sie dienen, um den Schreibtisch herum und im Zimmer verstreut, als kleine Drohungen und rufen stumm Schuldgefühle, Angst und Wut hervor und nehmen obendrein eine Menge Platz weg. Dies kann unter Umständen so weit ausarten, dass Räume Trümmerfeldern gleichen.

 

Einen ganz anderen Umgang pflegen wir jedoch mit Objekten oder Verrichtungen, die für uns eine persönliche Bedeutung haben, interessant oder überaus wichtig und somit wertvoll für uns sind. Hier sind wir höchst motiviert, was bedeutet, dass wir diese Verrichtung sehr gründlich ausführen oder das entsprechende Objekt sicher und behütet aufbewahren.

Aber selbst in dem von uns erschaffenen Chaos strukturieren wir uns mit einer „inneren Ordnung“, indem wir die für uns notwendigen Utensilien an einem gewohnten Platz hinterlegen, um für uns selbst alles überschaubarer zu halten und uns in kürzester Zeit Zugriff zu verschaffen. Deshalb reagieren viele von uns überfordert und auch sehr gereizt, wenn man diese kleine Struktur plötzlich zerstört, indem man in das Chaos unerwartet Ordnung bringt.

 

…Ich bewerte mein Leben danach, was ich an einem Tag alles in Ordnung gebracht habe, innerlich und äußerlich. Egal wie umständlich…

(Ryffel-Rawak [111], S. 82)

 

 

17.1.2 Planung

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer sich auf ein zukünftiges Ereignis vorzubereiten. Hierbei vernachlässigen wir die gedankliche Vorwegnahme von Handlungsschritten, die zur Erreichung unseres Zieles notwendig wären. Vorausschauend und zielstrebig zu denken ist schon deshalb ein Hindernis mit großen Anstrengungen, weil uns das entsprechende Zeitgefühl zur Festlegung und Einteilung unseres Vorhabens fehlt. Dadurch sind wir stets verunsichert, wenn es darum geht etwas Zukünftiges zu entscheiden, aus Angst davor, dieses Ziel nicht einhalten zu können.

 

Wir sind immer auf dem letzten Drücker. Erst wenn ein Ereignis unmittelbar bevor steht, werden wir richtig aktiv und bereiten uns kurzfristig vor.

 

Beispiele:

 

  • Der Schüler wiederholt erst einen Tag vor der Klausur den notwendigen Themenstoff.
  • Die Familie beginnt erst am Abreisetag die Koffer für den Urlaub zu packen.
  • Der Unternehmer kann die notwendigen Mittel für langfristige Aufträge nicht bedarfsgerecht einteilen.
  • Der neue Mitarbeiter kommt schon an seinem ersten Arbeitstag zu spät.
  • Die Freundin kann sich nicht an Verabredungen halten.
  • Der beste Freund ist zum Treffen der Clique mal wieder der Letzte.

 


Obwohl wir unser Vorhaben nicht aus Gleichgültigkeit oder Faulheit vernachlässigen, stoßen wir durch unser planloses Verhalten bei unseren Mitmenschen meist auf Unverständnis, Kritik, Enttäuschung und emotionaler Verletzung mit dem Vorurteil unzuverlässig zu sein.

 

„Ich denke niemals an die Zukunft. Sie kommt früh genug.“

(Albert Einstein)

 

 

17.1.3 Organisation

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer, sich zur Bewerkstelligung unserer Aufgaben und Pflichten zu strukturieren, insbesondere entsprechende Hilfsmittel zu beschaffen und sich zu koordinieren. Da wir meist spontan handeln, fehlt uns ein vorausschauender Sinn zur Abschätzung der notwendigen Präventionen mithilfe entsprechender Mittel.

 

Beispiele:

 

  • Der Schüler hat bei der Klassenfahrt kein Handy dabei.
  • Der Geschäftsreisende hat für die anstehende Fahrt vergessen Ölstand und Reifendruck zu kontrollieren.
  • Dem Referendar fehlen wichtige Unterlagen zu seiner Abschlussprüfung.
  • Der Bauleiter teilt die Fachkräfte nicht effizient ein.
  • Der Handwerker fährt zweimal zur Montage, weil das passende Werkzeug fehlt.
  • Die Mutter hat für den Lebensmitteleinkauf zu wenig Bargeld in der Tasche.

 

Viele von uns haben mit der Zeit sogar gelernt, für fehlende Hilfsmittel nach Möglichkeit sogar andere Gegenstände zweckentfremdend zu verwenden. Dennoch wirken die meisten von uns in neuen Situationen auf Andere oft unbeholfen.

 

 

17.1.4 Kontinuität

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer monotone, sich wiederholende Verrichtungen durchzuführen. Etwas langfristig ohne Unterbrechung abzuschließen, gestaltet sich für uns als äußerst schwierig, da wir, bedingt durch die permanente Suche nach Stimulation, zur Abwechslung neigen. Allerdings haben wir im Laufe unseres Lebens gelernt uns zu kontrollieren und entsprechende Strategien zur Bewältigung unserer Persönlichen Aufgaben und Pflichten zu entwickeln.

 

„Es fällt mir immer wieder schwer mich für den wöchentlichen Hausputz zu motivieren. Routine kenne ich nicht. Wie ein unbeholfenes Kind, muss ich jedes Mal eine innere Mauer überwinden.“ (Betroffener)

 

„Wenn ich meinen Beruf nicht mit kleinen Smalltalks, Leckereien und kurzen Spaziergängen für mich attraktiver machen kann, bin ich weniger leistungsfähig.“ (Betroffene)

 

„Die Arbeit am Fließband ist zwar anspruchslos und langweilig, aber dafür muss ich mich auch nicht konzentrieren und kann den ganzen Arbeitstag in meiner Gedankenwelt verbringen.“ (Betroffener)

 

„Schon als Kind hat man mir gesagt, dass ich ständig aus der Reihe tanze.“ (Betroffene)

 

 

17.1.5 Kontrolle

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer etwas zu überwachen. Da wir ständig durch äußere Reize oder eigene Gedanken abgelenkt werden, können wir die notwendige Aufmerksamkeit für das entsprechende Objekt oder die Situation langfristig nicht aufbringen.

Sich ohne echtes Interesse dauerhaft zu konzentrieren und die Aufmerksamkeit zu fokussieren, wird dann zu einer großen Anstrengung. Dies hat zur Folge, dass uns wichtige Details entgehen und somit Flüchtigkeitsfehler entstehen.

 

„Erst zum Ende der Klausur ist mir aufgefallen, dass ich ein wichtiges Detail im Text übersehen und die Aufgabe somit falsch verstanden hatte.“ (Betroffener)

 

„Wenn ich meine Arbeit dem Vorgesetzen präsentieren soll, lasse ich sie vorher noch einmal von meinen Kollegen auf grammatische Fehler kontrollieren.“ (Betroffener)

 

„Wenn ich meine Wohnung verlasse, kontrolliere ich schon zwanghaft mehrmals, ob ich das Licht oder sonstige Geräte ausgeschaltet habe, weil ich mich nicht mehr erinnern kann.“ (Betroffene)

 

„Während der Einsicht in meine Kontoauszüge fällt mir im Nachhinein immer wieder auf, dass ich noch Geld von einigen Leuten bekomme.“ (Betroffener)

 

 

17.1.6 Pflege

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer etwas zu verwalten, zu pflegen oder instand zusetzen, was für uns nicht von persönlicher Bedeutung ist.


Bespiele:

 

  • Dem Ehemann fällt es leichter sich um sein geliebtes Motorrad zu kümmern, als im Haushalt zu helfen.
  • Die Tochter verpflegt mit großer Fürsorge ihre Meerschweinchen, schafft es aber nicht ihr Zimmer aufzuräumen.
  • Eine Frau gilt als minderbegabt und ungeschickt. Als Mutter von vier erfolgreichen Kindern wagt aber niemand ein negatives Wort über sie zu verlieren.
  • Ein Junger Mann gilt in seinem privaten Umfeld als Versager und Chaot. Im seiner beruflichen Tätigkeit als Pfleger ist er jedoch unentbehrlich.

 

 

17.1.7 Hygiene

 

Wir legen aus unserer natürlichen Veranlagung heraus keinen besonderen Wert auf körperliche oder materielle Hygiene. Nur durch beispielhaftes Verhalten der Eltern, frühe Disziplinierung oder schamhafte Kritik lernen wir allmählich uns selbst oder unseren Besitz gründlich zu pflegen. Fehlen uns diese Erfahrungen, werden wir sprichwörtlich dahinvegetieren und verwildern.

 

Körperliche Hygiene:

 

Viele von uns…

 

  • putzen sich selten die Zähne
  • rasieren sich unregelmäßig
  • kämmen sich selten oder gar nicht
  • waschen sich nur, wenn sie sich dadurch selbst oder Andere belästigen
  • haben lange, schmutzige Finger- und Zehnnägel
  • haben Ohrenschmalz, Mundgeruch oder fettiges Haar

 

Einstein über persönliche Pflege:

…Civilisation (schön geputzte Zähne, elegante Kravatte, geschniegelter Schnauz, tadelloser Anzug) aber keine persönliche Kultur (Rohheit in Rede, Bewegung, Stimme, Empfindung). Nun will ich ja gerne zugeben, dass die beiden Dinge nicht unvermeidbar sind. Aber wenn ich anfange, mich körperlich zu pflegen, dann bin ich nicht mehr ich selber… (Strauch [84], S.104)

 

Viele von uns haben aus negativen Erfahrungen der Kindheit durch Gelächter und Scham gelernt sich intensiv zu pflegen, oft sogar mit einem zwanghaften Verhalten.

 

„Dauernd wasche ich mir die Hände. Sobald ich nur leicht schwitze, möchte ich duschen. Oft sogar mehrmals am Tag. Das Waschen ist für mich  zu einem Ritual geworden.“ (Betroffener)

 

 

Räumliche Hygiene:

 

Viele von uns haben Probleme damit, routinierte Reinigungsarbeiten auszuführen. Dadurch hinterlassen wir…

 

  • staubige Möbel
  • schmutzige Böden
  • muffige oder schmutzige Wäsche
  • verschwitzte Bettlaken
  • gestapeltes Geschirr voller Speisereste
  • Müllansammlungen
  • überfüllte Aschenbecher
  • Waschbecken voller Kosmetikreste, Zahnpasta oder Haare
  • Toiletten mit Fäkalresten
  • Schimmel oder Pilzsporen

 

Die meisten von uns schämen sich ihrer Unordnung und leiden gewöhnlich sehr darunter. Nach außen sind sie eher unauffällig oder isolieren sich. Oft haben sie in verschiedenen Lebensbereichen sogar eine Tendenz zum Perfektionismus mit dem sie ihre hygienischen Defizite kompensieren.

 

Während Einstein fast perfektionistisch seine Relativitätstheorie ausarbeitet, schreibt er in einen Brief an seine verreiste Frau:

…Die Wohnung ist schon sehr dreckig – ich muss Dich drauf vorbereiten.‹‹… (Strauch [87], S. 79)

 

Andererseits gibt es auch einige von uns, die durch strenge Selbstdisziplin einem teils zwanghaften Säuberungsschema (Putzfimmel) folgen.


 

17.1.8  Unterordnung

 

Uns fällt es grundsätzlich schwer sich an konkrete Vorschriften, soziale Regeln und Gesetze zu orientieren, die unserer persönlichen Moral widersprechen. Wenn wir nicht aus der Vorbildlichkeit unserer Eltern oder den Konsequenzen durch unangepasstes Verhalten in unserer Kindheit gelernt haben uns einzugliedern, werden wir noch im Erwachsenenalter durch unser rebellisches Verhalten auffallen. Viele von uns geraten deshalb sogar regelmäßig mit dem Gesetzt in Konflikt.

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom sind von Natur aus Individuen mit anarchistischen Tendenzen. Zwang und Unterdrückung werden von uns verachtet.

 

Einstein über Militarismus:

…››Wenn einer mit Vergnügen in Reih und Glied zu einer Musik marschieren kann, dann verachte ich ihn schon; er hat sein großes Gehirn nur aus Irrtum bekommen.‹‹… (Strauch [88], S. 111)

 

Hierarchie wird nur toleriert, sofern sie aus sozialer Gebundenheit oder persönlicher Achtung eines Individuums hervorgeht.

 

„Eigentlich mag ich es nicht, wenn meine Chefin mir etwas vorschreibt. Ich weiß aber, dass sie eine äußerst kompetente und erfolgreiche Persönlichkeit ist, die weiß, was sie tut.“ (Betroffene)

 

Haben wir grundsätzlich Probleme mit Autoritäten und schaffen es nicht uns in dessen Gegenwart zu kontrollieren und sich angemessen zu verhalten, kann das gravierende Konsequenzen im Beruf und im alltäglichen Leben haben.

 

„Alle Bullen sind Schweine!“ (Betroffener)

 

Es kein Zufall, dass man viele von uns in der Autonomen Szene findet.

 

Albert Einstein über Persönlichkeit:

…››Als das eigentlich Wertvolle im menschlichen Getriebe empfinde ich nicht den Staat, sondern das schöpferische und fühlende Individuum, die Persönlichkeit: sie allein schafft das Edle und Sublime, während die Herde als solche stumpf im Denken und stumpf im Fühlen bleibt‹‹… (Strauch [56], S. 30)

 

 

17.1.9 Sozialverhalten

 

Es fällt uns grundsätzlich schwer angemessen zu kommunizieren. Dies ist auf unser nach außen getragenes verzerrtes Selbstbild zurückzuführen.

 

Wir…

 

  • geben lapidare Antworten
  • benutzen vulgäre Ausdrücke
  • senden unangemessene nonverbale Signale

 

Sich der Etikette entsprechend zu verhalten gehört nicht zu unseren Stärken. Deshalb fallen wir häufig durch unsere penetrante Art auf.

 

Wir…

 

  • lachen in unangemessen Situationen
  • schmatzen und schlürfen beim Essen
  • gähnen, rülpsen oder furzen laut
  • kauen Nägel oder bohren in der Nase

 

Da unserer Selbstwahrnehmung fehlt, lernen wir das soziale Verhalten nicht, in dem wir es uns von unseren Eltern oder anderen Personen abschauen und aneignen, sondern dadurch, dass man uns mit unserem eigenen Verhalten konfrontiert. Nur durch die Kritik von unseren Mitmenschen ist es uns möglich unsere persönlichen Verhaltensweisen zu erkennen, welche uns durch unser verzerrtes Selbstbild sonst entgehen. Dadurch lernen wir aus unserem unangemessen Verhalten uns den allgemeinen Verhaltensregeln letztendlich anzupassen.

 

 

17.2 Schlussfolgerung

 

Grundsätzlich ist das chaotische Verhalten von Menschen mit dem Einstein-Syndrom auf eine mangelnde Selbstmotivation bei linearen Prozessen zurückzuführen. Da unsere Motivation stärker von Stimulationen abhängt, als bei gewöhnlichen Menschen, fühlen wir uns durch unlustvolle Tätigkeiten schnell überfordert, wenn wir nicht gelernt haben, durch strukturierte Handlungsabläufe entsprechende Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Das bedeutet, dass wir unser geringes Potenzial zur Bewältigung langweiliger Aufgaben mit gewohnten, schnellen und unkomplizierten Methoden ausschöpfen.


 


 

 

Unser chaotisches Verhalten hat allerdings nicht nur negative Auswirkungen, sondern bringt auch herausragende Fähigkeiten mit sich:


 

17.2.1 Orientierung

 

Durch die intensive Sinneswahrnehmung und Fähigkeit Zusammenhänge rasch zu erfassen, können wir uns auch in chaotischen Zuständen schnell einen Überblick verschaffen und verstreute Informationen zusammenfügen.

 

Beispiele:

 

  • Ein Feuerwehrmann trifft während eines Einsatzes die sichere Entscheidung eine Person über das Dach zu retten, da er befürchtet, dass das Treppenhaus einstürzen könnte.
  • Ein verirrter Wanderer entscheidet sich instinktiv für den richtigen Weg, da er sich auf seinen ausgeprägten Lagesinn verlässt und sich an den Himmelsrichtungen orientiert.
  • Ein Junge findet die „Stecknadel im Heuhaufen“, als er seinen verlorenen Schlüssel auf dem Spielplatz aufstöbert.
  • Eine Naturforscherin entdeckt eine neue physikalische Eigenschaft.
  • Ein Schrotthändler kennt sein Gelände wie seine Westentasche.

 

Diese Fähigkeit macht uns zu geborene Späher, Pfadfinder und Ersthelfer.

 

 

17.2.2 Improvisation

 

Wir besitzen die Fähigkeit aus unserer Spontaneität heraus unvorbereitet auf ein Ereignis zu reagieren. Unser impulsives Gemüt und die schnelle Assoziation von Eindrücken mit Erfahrungen ermöglichen es uns dabei sich einer Situation unmittelbar anzupassen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen.

 

Beispiele:

 

  • Eine junge Frau nutzt ihren Charme bei einer Verkehrskontrolle, um die Beamten von der abgelaufenen TÜV-Plakette abzulenken.
  • Ein Regisseur ändert kurzfristig das Theaterstück nachdem der Hauptdarsteller sich krank gemeldet hat.
  • Ein Professor hat die Unterlagen für einen Vortrag vergessen und erzählt aus seiner Erfahrung heraus.
  • Ein Junge denkt sich eine erfundene Geschichte aus, um seine Freundin zu beeindrucken.

 

 

17.2.3 Multitasking

 

Bedingt durch unsere hohe Ablenkbarkeit lernen wir im laufe unseres Lebens uns auf mehrere Tätigkeiten gleichzeitig zu konzentrieren. Dabei verteilt sich unsere Aufmerksamkeit primär auf das Interesse und Sekundär auf die Erwartung und Routine, wobei die sekundäre Tätigkeit von uns nur unterschwellig wahrgenommen wird.

 

Beispiele:

 

 Wir…

  • grübeln in unseren Tagträumen, während wir durch den Stadtverkehr fahren.
  • antworten einer Kurznachricht, während wir einem Gespräch folgen.
  • kochen, während wir Fernsehen schauen.

 

 

17.2.4 Kreativität

 

Wir sind die schöpferischen Querdenker unserer Welt. Unsere laterale Denkweise, dass bedeutet die Fähigkeit nicht linear, sondern sprunghaft zu denken, insbesondere verstreute Informationen subjektiv zu bewerten und zu assoziieren, ermöglicht uns aus gewonnenen Erfahrungen und den daraus resultierenden Erkenntnissen neue Ideen und Erfindungen zu entwickeln. Diese müssen nicht aufeinander folgen, sondern können spontan und diffus entstehen (kreatives Chaos). Ein mentaler Vorgang, der bewusst oder unbewusst stattfinden kann. Dabei hilft uns unsere ausgeprägte Phantasie aus verschiedenen Wahrnehmungen neue Vorstellungen zu gestalten, indem Details intuitiv erfasst und ausgearbeitet werden:

 

 

Visuelle Vorstellung

 

Wir greifen auf imaginäre Erinnerungen zurück und gestalten daraus neue Visionen:

 

  • Ein Regisseur stellt sich bildhaft vor, wie sich die Schauspieler in der nächsten Szene verhalten sollen.
  • Ein Künstler sucht auf dem Schrottplatz passende Teile für seine im Gedächtnis gestaltete bizarre Figur.

 

 

Auditive Vorstellung

 

Wir greifen auf akustische Erinnerungen zurück und gestalten daraus neue Geräusche:

 

  • Eine Frau stellt sich einen Dialog mit ihrem Ehemann vor, ohne dass ihr Mann die verwendeten Worte in ihrer Gegenwart jemals ausgesprochen hat.
  • Ein Klavierspieler komponiert in seiner Vorstellung aus verinnerlichten Tönen eine neue Melodie.


 

Olfaktorische Vorstellung

 

Wir greifen auf Erinnerungen aus Empfindungen von Gerüchen zurück und gestaltet daraus neue Gerüche:

 

  • Ein Parfümeur stellt sich aus verschiednen Gerüchen einen Duft vor.

 

 

Gustatorische Vorstellung

 

Wir greifen auf Erinnerungen aus Empfindungen des Schmeckens zurück und können diese zu einem neuen Genuss miteinander kombinieren:

 

  • Ein Koch gestaltet sein Gericht durch die instinktive Zugabe von Genussmitteln zu einer Delikatesse.
  • Ein Gourmet kann die verschiedenen Zutaten einer Speise herausschmecken.

 

 

Haptische Vorstellung

Wir greifen auf Erinnerungen aus taktilen und kinästhetischen Wahrnehmungen zurück und passen diese einer neuen Situation an:

 

  • Ein Physiker stellt sich die Schwerelosigkeit vor.

 

 

Menschen mit dem Einstein-Syndrom bringen die Welt aus den Fugen. Mit ihrem verwirrten und unordentlichen Verhalten sorgen sie stets für ein Durcheinander, Aufregung und Gelächter. Als Erfinder, Künstler und Wissenschaftler gehören sie mit ihrer schöpferischen Geisteskraft jedoch auch zu den Genies unserer Welt, die mit ihren großen Leistungen das Voranschreiten der Zivilisation bewirkt haben.

 

„Geniale Menschen sind selten ordentlich, ordentliche selten genial.“ (Albert Einstein)


 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak