Einstein-Syndrom

19.                 Gerechtigkeitssinn

 

„Die Welt wird nicht bedroht von den Menschen, die böse sind,

sondern von denen, die das Böse zulassen.“

 

 

Es gibt wirklich nichts, was einen Einstein-Syndrom-Mensch mehr aufregt, verärgert und wütend macht, als Ungerechtigkeit. Schlimmer noch, wenn dabei ein anders Lebewesen ungerecht oder gar gewaltsam behandelt wird.

 

Menschen wie wir haben einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit und können Unrecht aus jeder Situation heraus sofort erkennen. Ganz gleich, wem oder was Unrecht erfährt, eine ungerechte Tat berührt uns immer auf emotionaler Ebene. Durch unsere unwillkürliche Gewissenhaftigkeit sind wir äußerst gerechte Persönlichkeiten, die niemals bewusst ausbeuten, egoistisch denken, oder andere hintergehen würden, wenn sie anderen dadurch Schaden zufügen. Wir sind immer bereit zu teilen und zu geben. Dies rührt wohl aus dem Grundgefühl heraus gebraucht zu werden.

 

Einstein über seine Abneigung zur Gewalt:

››Mein Pazifismus ist instinktiver Natur – ein Gefühl, von dem ich besessen bin. Der Gedanke des Mordes an einem menschlichen Wesen erfüllt mich mit Abscheu.‹‹  (Strauch [7], S. 158)

 

Bedauernswerterweise gibt es dennoch wenige unter uns, die durch ständig ungerechte Handlungen selbst dauerhaft benachteiligt worden sind und dadurch ein verzerrtes Bild zu den Konsequenzen aus Recht und Unrecht erhalten:

 

…Erst viel, viel später dämmerte mir ganz zaghaft die Einsicht, dass da etwas passiert, was mit Logik nichts zu tun hat, etwas was über dem Verhältnis ist, etwas, das durch alle Anstrengungen nicht erzwungen werden kann. Aber bis dahin war noch ein sehr weiter Weg. Und ich war erst ganz am Anfang. Ich musste wohl noch viel deutlicher spüren, wie groß all die Ungerechtigkeit um mich herum war. Ich erinnere mich noch gut an die vielen kleinen Episoden, bei denen ich mich immer und immer wieder bemühte, lieb zu sein und bei denen es am Ende dann doch falsch herauskam. Aufwand und Ertrag standen gleichsam immer wieder in einem krassen Missverhältnis, dass ich mich immer häufiger zu fragen begann, welchen Sinn es denn eigentlich machte, dass ich mich bemühte und mich anstrengte, wenn es dann am Ende doch nur schlecht herauskam … Mit zunehmender Dauer wurden die Frustrationen häufiger und die Verzweiflung stärker…  (Ryffel-Rawak [12], S.45)

 

Viele von uns haben dadurch den Glauben an das gute im Menschen verloren. Diese Artverwandten haben nur noch sehr wenig für ihre Mitmenschen übrig und verachten sie im schlimmsten Fall sogar:

 

„Was interessiert mich der Penner an der Straßenecke?! Ich habe meine eigenen Probleme. Die Welt ist eben ungerecht.“ (Betroffener)

 

Dennoch werden selbst die negativsten Erfahrungen ihren inneren Gerechtigkeitssinn nicht ganz zerstört haben:

 

…Irgendwas war in mir, eine tiefe Überzeugung, dass es nicht anders sein darf. Eine Ahnung von einer Gerechtigkeit, die am Ende bleibt, und in der sich schließlich alle Ungereimtheiten auflösen würden… (Ryffel-Rawak [13], S.45)

 

Dies wird immer dann deutlich, wenn ein Mensch sich in einer extremen Situation befindet:

 

„Wenn jemand geschlagen wird, wächst eine immense Wut in mir, die in Raserei ausartet, wenn das Opfer wehrlos am Boden liegt.“ (Betroffener)

 

Aus persönlicher Sicht fühlen wir uns schnell gekränkt und reagieren mit Wut und Abneigung, wenn wir uns ungerecht behandelt fühlen. Unsere Mitmenschen halten dieses Verhalten meist für überzogen und nicht nachvollziehbar:

 

„Es kann doch nicht sein, dass ich wegen fünf Minuten Verspätung angeschnauzt werde, während der arrogante und faule Herr Kollege für seinen offensichtlichen Flirt täglich eine halbe Stunde in der Buchhaltung verbringt!“ (Betroffene)

 

Schon als Kinder reagieren wir widerspenstig auf Strafen und fühlen uns zu triefst verletzt:

 

„Wenn meine Mutter mich in meinem Zimmer eingesperrt hat, habe ich sie beschimpft und vor Wut gegen die Türe getreten.“ (Betroffener)

 

Menschen wie uns fällt es sehr schwer, sich von einer ungerechten Situation abzugrenzen. So haben viele von uns nicht nur das „Helfersyndrom“, sondern ein regelrechtes „Robin-Hood-Syndrom“:

 

Beispiele:

 

  • Ein Rentner, der seinem jungen Nachbar ein Elektrokabel von Balkon zu Balkon reicht, weil ihm der Strom abgeschaltet wurde, entfacht dadurch einen heftigen Streit mit seiner Frau.
  • Eine junge Frau, stellt sich vor einem Lastwagen, um diesen auszubremsen, damit eine alte Dame endlich die Straße überqueren kann, und wird dabei von Passanten als waghalsig und lebensmüde wahrgenommen.
  • Der Computer-Hacker, der einen Angriff auf eine raffgierige Versicherungsgesellschaft riskiert und den erbeuteten Betrag auf das Konto einer Stiftung für Weisenkinder zu transferiert, sieht seine eigene Sache vor Gericht als absolut gerechte Handlung, da das Weisenhaus in seinem Stadtteil wegen zu hoher kosten geschlossen werden soll.
  • Auch bei Tieren ist der Einsatz enorm groß. So beginnt beispielsweise ein Zwölfjähriger eine Prügelei mit seinem Mitschüler, weil der zuvor eine Taube mit einer Softgun beschossen hat.
  • Einen dramatischen Zustand kann das Ganze z. B. bei einem Polizeieinsatz nehmen, bei dem ein Demonstrant von den Beamten mit Pfefferspray besprüht wird und sein bester Freund diese darauf gewaltsam attackiert und dabei selbst schwer verletzt wird.
  • Der Besitzer einer kleinen Werkstatt repariert das KFZ einer allein erziehenden Mutter großzügig ohne Stundenlohn, nachdem sie von ihrem Vertragshändler zwei Mal „über den Tisch gezogen“ wurde.

 

„Ich verachte raffgierige und korrupte Menschen. Am liebsten möchte ich mich an ihnen für ihre Ausbeutung rächen.“ (Betroffene)

 

Dass wir ein großes Herz haben, wurde bereits erwähnt. Am stärksten schlägt es jedoch bei ungerechten Taten.


 

 

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Einstein-Syndrom 2012-12-21  |  Copyright © 2014 Dirk Lostak